Kann das bloße Ignorieren von Rassismus noch ein sinnvoller Ansatz sein?
Im folgenden Text erläutere ich den Zusammenhang der beiden Begriffe Big Data und Rassismus, verknüpfe dies mit dem Toleranz-Paradoxon des Philosophen Karl Popper und ziehe schließlich ein Fazit , wie wir uns in einer Demokratie gegenüber Rassisten verhalten müssen, um diese zu erhalten.
Mir wird in letzter Zeit, wenn ich Stellung zu fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen und Aktionen beziehe, entgegengehalten, das wir in einer Demokratie mit freier Meinungsäußerung leben würden, die AfD von über 10% der Wähler demokratisch in die Parlamente gewählt worden sei und ich daher diese Äußerungen zu akzeptieren hätte. Hierbei werden demokratische Argumente bezüglich der Toleranz sinnentstellend gegen eine tolerante Gesellschaft benutzt.
Die Realitätsverdrehungen, die Schmähungen, die Grenzüberschreitungen von Rassisten haben ein neues bislang nicht gekanntes Maß erreicht. Wir wissen, dass dahinter straff organisierte Netzwerke wie Reconquista Germanica agieren, die gezielt versuchen, die Debatten und -kultur in ihrem Sinne zu beeinflussen, Dabei geht es nicht um Fakten, sondern darum, Ängste zu schüren (siehe Artikel des österreichischen Standard).
Man muss sich fragen: Reicht es, diesen Unrat zu ignorieren? Reicht es, wie bisher, weiterhin wegzugucken und zu warten, bis es wieder weggeht? Geht es wieder weg? Mit der NPD hat doch auch funktioniert. Oder hinkt der Vergleich?
Ja, der Vergleich hinkt aus zwei Gründen:
Erstens: Die Digitalisierung und Big Data
Es gibt den Versuch in Europa, die Demokratie mit Hilfe der Digitalisierung zu stärken. Die Ziele lauten
- Partizipation des Bürgers an Staat und Politik durch politische Transparenz und
- Recht des einzelnen Bürgers, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen (informationelle Selbstbestimmung).
Diese Vorhaben sind ehrenwert, aber bislang eher erfolglos. Stattdessen sehen wir eine Gegenbewegung, eine Pervertierung dieser Ideen hin zum gläsernen Bürger. Wir sind heute mit der im Alltag zumeist unbemerkten Überwachung der Bürger aufgrund der Ansammlung unbeschreiblicher Datenmengen (Big Data) bereits viel weiter als das Buch 1984 von George Orwell es beschrieb.
In der Vergangenheit waren Diktaturen darauf angewiesen, eine hinreichende Menge von Kollaborateuren zu finden. Der Holocaust, in dem in den einzelnen Ländern teilweise über 80% der jüdischen Bevölkerung deportiert wurden, war nur möglich, weil die Daten der Bürger bekannt waren, weil sich genügend Personal vieler Staats- und Verwaltungsbehörden bereitfand, die notwendigen Listen mit Daten von Bürgern dem Naziregime zur Verfügung zu stellen. Ein heute mögliches Überwachungssystem ist der Traum jedes Diktators. Big Data kann jetzt bereits auf Knopfdruck hinreichend viele Daten liefern, um „Volksfeinde“ zu identifizieren. Kollaborationen sind in weiten Teilen nicht mehr nötig. Wer an diesen Gefahren zweifelt, schaue sich einfach die aktuelle Entwicklung des social scoring in China an (Heise-Artikel).
Zweitens: Die Handlungsmuster der Rassisten
Das momentane Erstarken der rassistischen Hater und Trolle verschiebt die Grenze des Schreib- und Sagbaren immer mehr nach rechts und ins Unmenschliche. Das ist kein Zufall, sondern kopiert das Vorgehen der Nationalsozialisten vor der Machtergreifung 1933. Das persönliche Ziel der Akteure ist nur das Ausleben ihrer Machtphantasien, politisch drohen jedoch die Abschaffung der Demokratie und die Errichtung einer neuen Diktatur.
Auch Hitler persönlich war nur eine bedauernswerte hilfebedürftige Person mit massiven Defiziten, die er durch den Erwerb von Macht zu kompensieren suchte. Er brauchte nach seiner Vereidigung am 30. Jan. 1933 als Reichskanzler in einer Demokratie nur acht Wochen, um mittels des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 genau diese Demokratie faktisch abzuschaffen.
Wer es konkreter braucht:
- Bei der Reichstagswahl November 1932 wurde die NSDAP trotz Stimmenverlusten mit 33,1 Prozent erneut stärkste Partei.
- Am 30. Jan. 1933 vereidigte Hindenburg Hitler und das übrige Kabinett und erlaubte ihm die geforderte Auflösung des Reichstags, um Neuwahlen zu ermöglichen.
- Die folgende Zeit war geprägt durch Einschüchterungen, Verhaftungen und Ermordungen.
- Das Ermächtigungsgesetz vom 23. März kam nur durch massiven Straßenterror, den illegalen Parlamentsausschluss aller KPD- und einiger SPD-Abgeordneter und nachträgliche Annullierung der KPD-Mandate zustande. Es erlaubte dem Regime für zunächst vier Jahre, Gesetze künftig direkt zu erlassen.
Vorläufiges Fazit: Die Überwachungsmöglichkeiten zusammen mit dem offenen, offensiven und durchaus professionell agierendem Rassismus sind eine neue und brisante Mischung. Die resultiere nde Gefahr für unsere Demokratie ist nicht unerheblich.
Was tun wir dagegen?
Die heutige AfD wurde demokratisch in Parlamente gewählt, das stimmt. Die AfD (genauso wie Pegida, Identitären und Reichsbürgern) lehnt die Grundrechte des Grundgesetzes inhaltlich jedoch klar ab. Die AfD ist daher, wie damals die NSDAP, keine demokratische Partei. Denn Demokratie definiert sich durch die Grundrechte und nicht durch eine Wahlprozedur (Siehe auch Gastkommentar von Michel Friedman).
Das Toleranz-Paradoxon
Der Philosoph Karl Popper das Paradoxon der Toleranz 1945 in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde Band 1“.
Er schrieb: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“ „Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“ (aus Die Welt: Karl Popper über Toleranz)
Endgültiges Fazit: Es ist daher nicht nur notwendig und sondern auch moralisch legitim, die Rassisten zu stoppen, wo es geht. Wegsehen reicht nicht. Auch lächerlich machen ist gefährlich, da es die Gefahr verniedlicht. Keine Bühne bieten, sondern stoppen, auch intolerantes Stoppen und Verhindern ist angesagt!
tl;dr:
Big Data, Rassismus und das Toleranz-Paradoxon müssen zusammenbetrachtet werden. Daraus ergibt sich die nicht nur die moralische Legitimation sondern auch die Notwendigkeit Rassisten auch auf intolerante Weise zu stoppen, um unsere Demokratie zu retten.