Es geht in diesem Text um den Zusammenhang von Politik und Gefühlen und die Notwendigkeit einer mehrheitsfähigen verbindenden Zukunftsvision.
Wo stehen wir?
Wir stehen in Europa vor massiven Umbrüchen in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten.
Die Bürger werden in dieser Zeit der Veränderung zunehmend verunsichert. Sie haben den Eindruck, dass die herrschende Eliten nicht an der Lösung unserer Zukunftsaufgaben interessiert sind, sondern lediglich an der Steigerung des Profits oder persönlicher Macht. In der Folge fährt der Zug immer schneller bergab. Die Zugführer sind angetrunken und spielen laut lachend Mensch-ärger-Dich-nicht oder Monopoly.
Auch in dieser erneuten GroKo wird mutmaßlich nur der kleinste gemeinsame Nenner der beiden Parteien umgesetzt werden.Beide Parteien werden aus Angst vor weiteren Wählerverlusten sich nichts Neues trauen. Das gemeinsame Motto lautet: „Bloß keine Experimente! Wer mit Neuem überrascht, verliert!“
Wie ticken wir?
Wie treffen wir eigentlich Entscheidungen? Theoretisch werden in einer Demokratie Entscheidungen getroffen nach ausgiebigen Sachdebatten. Die Ansicht mit der größten Überzeugungskraft erweist sich als mehrheitsfähig. Diese werden folgerichtig umgesetzt. Wir treffen tagtäglich viele hundert Entscheidungen, ein Blinzeln hier, ein Stirnrunzeln da, im Bruchteil einer Sekunde. Praktisch treffen wir die meisten Entscheidungen unbewusst und spontan aufgrund von Hoffnungen und Ängsten. Diese wiederum resultieren aus unserer subjektiven Bewertung von persönlichen Erlebnissen. Das heißt: über 90% unserer täglichen Entscheidungen treffen wir rein gefühlsmäßig und nicht über den Verstand.
Was droht uns?
Seit 2015 rollt eine Welle von rechtsradikalen Parolen durch Europa. Und die neuen Minister Seehofer und Spahn versuchen auf dieser braunen Brühe zu reiten. Sie vernebeln zusätzlich den Blick auf die notwendigen Aufgaben unserer Gesellschaft. Wir brauchen nachhaltige Lösungen auf den Gebieten Arbeit, Soziales, Digitalisierung, Wirtschaft und Globalisierung. Die Aufzählung ist nicht abschließend.
Woher kommt eigentlich diese Aufmerksamkeit? Die Rechtsextremen appellieren nicht an den Verstand, denn sie bieten keine sachgerechten Lösungen für die Zukunft. Stattdessen appellieren sie erfolgreich an die dunkle Seite unserer Gefühle, an unsere Ängste. Diese Debatte zu begrenzen und zu stoppen, wo es geht, ist nicht nur legitim und sinnvoll, sondern auch notwendig (siehe meinen Blog: Kann das bloße Ignorieren von Rassismus noch ein sinnvoller Ansatz sein?). Das aber kann und wird nicht reichen.
Was ist nötig?
Auf der Sachebene müssen wir jetzt beginnen, ein Zielsystem zu bestimmen, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Wir müssen ein Set von Maßnahmen erarbeiten, wie wir diese Ziele auch erreichen können. Dann muss dies erklärt und umgesetzt werden. Das sind die 10% Verstand.
Auf der Gefühlsebene benötigen wir dringend eine positive gesellschaftliche Zukunftsvision, die das Lösungen der Sachebene einbettet. Unverzichtbar ist, dass diese Vision unsere Gefühle anspricht und den antidemokratischen Heilsversprechungen aus der Hölle auch positive Identifikationsmöglichkeiten entgegensetzt. So werden unsere 90% Gefühlsanteile bei den Entscheidungen berücksichtigt.
Diese Aufgabe muß parteiübergreifend von den fortschrittlichen Kräften und Parteien gemeinsam entwickelt werden.
Bislang sehen wir hauptsächlich, dass sich die potentiell progressiven Parteien und Gruppierungen unserer Gesellschaft gegenseitig zänkisch in die Kniekehlen treten und niedermachen: Ein destruktives Verpulvern von Kraft.
Wer in der SPD, bei den Grünen und Linken wäre dazu bereit und fähig eine solche positive Zukunftsvision zu erarbeiten?
Werden die Parteien diesen Personen die erforderliche Chance geben oder bestehen die Vorbehalte gegenüber unserem politischen Parteiensystem zu Recht?
tl;dr:
Die Zeit wird knapper. Die progressiven Parteien müssen aufhören, sich gegenseitig zu attackieren und zu schwächen. Sie müssen stattdessen endlich einen gemeinsamen Diskurs über positive Zukunftsvisionen beginnen, die Antworten für Verstand und Gefühl umfasst.